Bericht: Notschlafstelle in der Gnadenkirche

50 Gäste in unserer Kirche - eine ereignisreiche Woche

Sonntagabend, 19 Uhr. Ich bin in unserer katholischen Nachbarpfarre zum Göttlichen Wort. Sie haben in den letzten Tagen eine Notschlafstelle für etwa 50 Gäste, die als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, eingerichtet. Für die Nachtschicht haben sie junge Leute gesucht und ich habe mich gemeldet. Bald schon kommen Gäste vom Hauptbahnhof. Familien mit kleinen und großen Kindern, alleinreisende junge Männer und eine junge Frau mit ihrem zwei Monate alten Baby gehören zu denen, die wir in dieser Nacht beherbergen dürfen. Dann kommt plötzlich die Nachricht, dass noch weit mehr Menschen einen Schlafplatz benötigen. Rasch werden weitere Räumlichkeiten im Keller notdürftig hergerichtet und mir wird ganz schnell bewusst: Wir müssen dasselbe bei uns in der Gnadenkirche machen.

Noch während wir hier Gäste versorgen, mobilisiere ich über WhatsApp Gemeindemitglieder und besonders unsere Jugendlichen. Etwas später an diesem Abend schauen sich unsere treue Elfi Jerouschek und unsere Sekretärin Fr Medar das Quartier an.

Die Nacht vergeht ruhig, am nächsten Morgen heißt es leider Abschied nehmen von etwa 70 Menschen, die einem in dieser kurzen Zeit richtig ans Herz gewachsen sind. Menschen, die obwohl wir uns nur in gebrochenem Englisch und mit Händen und Füßen unterhalten konnten, fast zu Freunden geworden sind. 

Wir verfolgen an diesem Vormittag weiter die politische Lage. Es sind die Stunden, in denen mehr Informationen über die deutschen Grenzschließungen bekannt werden und wir fassen rasch den endgültigen Beschluss, eine Notschlafstelle herzurichten.

Was nun folgt, begeistert mich noch heute. Innerhalb einer Stunde ist Chrisi, ein junges Mädchen aus dem Jugendkreis da. Sie wird die gesamte Woche hier bleiben und unermüdlich helfen. Im Laufe der kommenden Stunden kommen Anrufe und Hilfsangebote von verschiedensten Seiten. Gemeindemitglieder und Freunde bringen Matratzen, Isomatten, Decken und vieles mehr. Das Amalienbad sagt nach einer Anfrage zu, dass sich unsere Gäste am nächsten Tag duschen können. Von den Marktständen in Favoriten erhalten wir Obst, Fladenbrot und andere Lebensmittel zu unglaublich günstigen Preisen und eine Apothekerin und eine Krankenschwester aus der Gemeinde bringen Verbandszeug, Desinfektionsmittel und Medikamente.

Am Abend kommt noch ein arabischsprachiger Freund bei uns vorbei und beschriftet WCs, Nahrungsmittel und Hinweisschilder auf Arabisch. 

Und dann kommen unsere Gäste: etwa 50 Menschen, überwiegend aus Syrien und dem Irak. Dankbar essen sie noch eine Kleinigkeit zu Abend, mit einigen können wir uns noch unterhalten und schlussendlich gehen sie alle schlafen. 

Am nächsten Morgen bereiten wir Frühstück vor, zahlreiche Gäste nehmen das Angebot vom Amalienbad dankbar an und duschen und wir verbringen einfach Zeit mit unseren Gästen.  Ein Koch aus Syrien hilft uns, Frühstück herzurichten und dekoriert kunstvoll Teller mit Knoblauchwurst. Dabei erzählt er uns auch, dass er in seiner Heimatstadt ein eigenes Restaurant geführt hat. 

Im Laufe des Vormittags verlassen uns wieder alle. Viele haben Zugtickets nach Deutschland, die Übrigen versuchen, welche zu kaufen. Nur einer bleibt sicher in Österreich. Moustafa, ein älterer Mann aus Syrien war, wie wir von ihm erfahren, schon dreimal hier in Österreich - offenbar geschäftlich. Er beantragt Asyl und ist jetzt - so hoffen wir - gut(?) in Traiskirchen untergebracht. 

Ähnlich geht es in den kommenden Tagen weiter. Über Mittag ist die Kirche leer. Die neuen Gäste treffen am Abend ein. Nur einmal bleiben zwei junge Afghanen über Mittag. Ganz bereitwillig helfen sie uns beim Putzen und saugen die gesamte Kirche. 

Unzählige Einzelschicksale bewegen uns in diesen Tagen. Da sind zum Beispiel einige junge Männer, die unseren Mitarbeitern Bilder auf ihren Handys von Fahrrädern zeigen. Wie wir erfahren, gehörten sie zum syrischen Fahrradnationalteam und waren international schon erfolgreich unterwegs. Sie hinterlassen uns auch eine arabische Dankeskarte. Jetzt haben wir ein Autogramm von syrischen Radrennsportlern.  

Eine andere Familie wird mir lange in Erinnerung bleiben. Es sind Kurden und sie haben in den zwei Tagen bevor sie bei uns ankommen vielleicht fünf Stunden insgesamt geschlafen. Mühsam haben sie sich vom Hauptbahnhof zu uns in die Kirche geschleppt. Der Vater hat dabei ein kleines schlafendes Kind liebevoll am Oberkörper getragen. Über zehn Stunden Schlaf später, erleben wir die ganze Familie, strahlend, ausgeruht - fast wie neue Menschen. Sie sind unglaublich dankbar und mit dem Cousin der Familie kann ich mich länger unterhalten. Er erzählt mir, dass er Maschinenbau studiert hat, träumt davon, sein Studium in England eines Tages abzuschließen. Er schildert mir von den einzelnen Stationen ihrer Flucht und im besonderen wie es ihnen in Ungarn ergangen ist. Außerdem erzählt er, wie es ihnen als Kurden geht, was sie an Unterdrückung durchmachen mussten und wie sehr sie sich einen eigenen Staat wünschen würden. Einmal mehr fasziniert es mich, Politik des Nahen Ostens hier aus dem Blickwinkel der dortigen Bevölkerungen zu hören. 

Ein anderer junger Mann erzählt mir mit Händen, Füßen und gebrochenem English “Our house booom”und macht eine erklärende Gestik dazu. Nachdem ihr Haus zerstört wurde, seien sie noch für einige Zeit in eine andere syrische Stadt geflohen, bevor sie den langen und beschwerlichen Weg nach Europa angetreten hatten. 

Sehr spannend war es auch zu beobachten, wie viele damit umgegangen sind, hier in einer Kirche zu sein. Ein paar haben wir beobachtet, wie sie “Selfies”mit dem Kreuz machten, andere stellten uns Fragen und einige schmökerten in den arabischsprachigen Bibeln und Schriften, die uns die Österreichische Bibelgesellschaft zur Verfügung gestellt hat. Und unser älterer Geschäftsmann aus Syrien beschloss, sich für sein neues Leben in Österreich eine Bibel mitzunehmen. 

Es gäbe noch viel mehr zu erzählen. Jeder von uns hat in dieser Zeit wertvolle Erfahrungen gemacht, die unsere Perspektive noch einmal stark verändert haben. Wir hoffen derzeit, dass es nicht wieder notwendig ist, ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen, aber halten uns bereit. Außerdem suchen wir nach Ideen, wie wir jetzt mittel- und langfristig Flüchtlingen in Österreich helfen können. Falls Sie sich hier auch engagieren wollen, geben Sie uns einfach Bescheid. 

Falls Sie noch verborgte Decken oder Pölster vermissen oder ihre bereits zurückerhalten haben, aber dabei zu viel zurückerhalten haben, setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung. Derzeit haben noch nicht alle Gegenstände ihre Besitzer gefunden.

(Bericht von Benedict Dopplinger)

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